Feynman und die Physik by Jörg Resag

Feynman und die Physik by Jörg Resag

Autor:Jörg Resag
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg


Was geschieht hier? Genauere Untersuchungen zeigten, dass sich die Eigenschaften des flüssigen Heliums beim Unterschreiten der kritischen Temperatur von 2,2 Kelvin schlagartig ändern. Man unterscheidet daher zwischen Helium I – das ist das flüssige Helium oberhalb der kritischen Temperatur – und Helium II bei Temperaturen darunter. Während Helium I noch ein normales flüssiges Gas ist, sind die Eigenschaften von Helium II ziemlich exotisch.

Ein Beispiel ist die Wärmeleitfähigkeit: Helium II kann Wärme extrem gut leiten, weit besser als beispielsweise Kupfer. Das ist auch der Grund dafür, warum die Blasenbildung so plötzlich aufhört: Die durch die Gefäßwände eindringende Wärme wird sofort abgeleitet und in der Flüssigkeit verteilt, sodass es an den Wänden nicht mehr warm genug ist, um Helium-Gasblasen zu bilden. Nur an der Oberfläche der Flüssigkeit verdampft weiterhin Helium und führt so die eindringende Wärme ab.

Die hervorragende Wärmeleitung von Helium II ist für eine Flüssigkeit sehr ungewöhnlich, denn normalerweise leiten Flüssigkeiten Wärme nicht sonderlich gut. Doch in Helium II ist das anders: Die Wärmeleitung ähnelt hier der schnellen Ausbreitung von Wellen, ganz ähnlich wie bei Schallwellen, sodass man auch vom zweiten Schall spricht. Man kann beispielsweise regelrechte Wärmepulse durch die Flüssigkeit senden, die sich mit Geschwindigkeiten von mehreren Metern pro Sekunde ausbreiten.

Und es gibt noch mehr zu entdecken: Wenn eine Flüssigkeit durch eine Röhre fließt, so wird sie durch ihre innere Reibung – Viskosität genannt – normalerweise abgebremst, und zwar umso stärker, je enger die Röhre ist. Ganz feine Poren mit Durchmessern von weniger als einem Mikrometer kann eine Flüssigkeit normalerweise gar nicht mehr durchdringen. Füllt man also eine Flüssigkeit in ein Gefäß, dessen Boden von derart feinen Poren durchzogen wird, so ist dieser Boden für die Flüssigkeit undurchdringlich.

Auch bei Helium I ist das so – es kann solch feine Poren nicht durchdringen und bleibt im Gefäß. Doch sobald man das Helium unter 2,2 Kelvin abkühlt und es sich in Helium II verwandelt, geschieht etwas Erstaunliches: Der poröse Boden wird auf einmal undicht. Das flüssige Helium durchdringt die feinen Poren und tropft nach unten, so als ob die Poren keinen Widerstand mehr darstellten. Das bleibt auch so, wenn man die Poren noch deutlich feiner macht. Das Helium scheint seine Viskosität komplett verloren zu haben – es ist gewissermaßen flüssiger als flüssig geworden, weshalb man diesen exotischen Materiezustand supraflüssig oder suprafluid nennt.

Das Verschwinden der inneren Reibung zeigt sich noch bei einem weiteren Effekt: Füllt man suprafluides Helium II in ein oben offenes Gefäß, so bildet sich ein sehr dünner Flüssigkeitsfilm auf der Gefäßwand. Der Film ist mit rund 30 Nanometern so dünn, dass er für das Auge praktisch unsichtbar ist. Er entsteht durch die minimalen Anziehungskräfte zwischen den Heliumatomen und den Atomen der Gefäßwand.

Da das suprafluide Helium keinerlei Reibungswiderstand besitzt, wird der Flüssigkeitsfilm immer weiter nach oben gezogen. Schließlich erreicht er den Rand und überzieht auch die Außenseite des Gefäßes. Nach und nach wird so immer mehr Helium aus dem Gefäß über den Rand nach außen gezogen, wo es wieder nach unten gleitet und sich an der Unterseite des Gefäßes in einem Tropfen sammelt, der sich schließlich ablöst (Abb.



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